Die Wand aus Feuer

Aus dem Juwelenspiegel-Samadhi: „...Wie vor einer Wand aus Feuer: abwenden oder berühren ist beides verkehrt.“

Jede und jeder von uns hat so eine Wand: sich abwenden und weglaufen hilft nicht (oder nur kurz), beim Berühren und sich darin Verlieren werden wir weder heilen, uns oder anderen helfen, noch selber glücklich werden.

Eines der essentiellen Heilmittel, die wir uns zudem auch noch selbst verordnen können, stellt unser Meditationsplatz dar: hier können wir, mit sehr geringem Aufwand, auf dem Kissen mit unserer Wand proben: wir laufen nicht weg, wir bleiben präsent, wir halten aus.
Wir lernen, Atemzug für Atemzug, dass wir eine weitaus größere Person, belastbarer und großherziger, sein können, als wir gemeinhin von uns selbst glauben.
Wir dehnen uns. Wir werden gedehnt.

Ganz langsam ist es auf diese Weise möglich, dass uns diese Wand nicht mehr vollkommen einnimmt oder die Mehrheit unserer Handlungen und Reaktionsketten beherrscht. Unser Raum ist durch unsere Praxis erweitert worden – wir verweilen darin mit allen unseren Landschaften und merken, wie wir diese langsam ausfüllen. Das ist eine äußerst kreative Arbeit, zwar überlebensnotwendig, doch dennoch keine Pflichtaufgabe, die wir mit zusammengebissenen Zähnen bewältigen müssen.

Unangenehme Empfindungen wie Angst, Schmerz, Trauer, Abschied, stellen die grundlegendsten Erfahrungen dar, die wir in der Meditation erleben können.
Es geschieht einfach. Wir haben eine Panikattacke, wir verlieren, wir werden verlassen, wir sterben. Geschieht dies zum wiederholten Mal, sind uns die Gefühlsketten und Köperreaktionen dabei schon ein wenig vertrauter. Wir atmen wieder ein und stellen fest: wir sind noch da, etwas derangiert, aber irgendwie auch erleichtert. Beim 1000. Mal sitzt der Griff des bedrohlich Unbekannten schon nicht mehr ganz so fest: wir üben. Mit diesem und mit jenem. Mit kleinen Angelegenheiten und mit den ganz großen.

Wir machen uns vertraut mit dem Geisteszustand und dem körperlichen Empfinden dessen, wie es ist, wenn wir die Dinge betrachten, wie sie eben sind. Und dabei bleiben. Mittendrin. So lange wir noch hier sind und weit darüber hinaus.

Der Buddha-Weg reicht seinem Wesen nach weit jenseits von Kargheit und Fülle: daher gibt es Leben und Sterben, Verblendung und Erwachen fühlende Wesen und Buddhas.
Auch wenn dies so ist, fallen Blüten, obgleich wir dies bedauern, und wächst Unkraut, obschon es uns nicht gefällt.

Aus dem Genjokoan; Dogen Zenji

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