October 2023

Ein Esel mit lebendigem Auge

Hier ist eine Geschichte:

Caoshan fragte den Mönchsälteren De:
"Der Dharma-Körper eines wahren Buddhas ist wie ein leerer Raum, der als Antwort auf fühlende Wesen Formen annimmt, wie die Spiegelung des Mondes im Wasser. Wie drückst Du die Wahrheit dieser Antwort am besten aus?"
De sagte: "Es ist wie ein Esel, der in einen Brunnen schaut."

Caoshan sagte:
"Was Du das sagst, ist sehr gut, doch es trifft es nur zu 80 oder 90 Prozent."

De sagte:
"Wie würdest Du es denn ausdrücken, Meister?"

Caoshan sagte:
"Es ist wie der Brunnen, der den Esel anschaut."

Der Lehrer Dogen sagte:
"Der Esel schaut in den Brunnen; der Brunnen schaut in den Esel. Der Brunnen schaut in den Brunnen; der Esel schaut in den Esel.

Die Erscheinungsformen des Körpers und der Gegenwart des Geistes sind grenzenlos. Die Formen, die sich als Antwort auf alle fühlenden Wesen darbieten, sind zahllos.

Das kraftvolle Auge innerhalb des Kreises erhellt das weite leere Feld und dringt wundersam zur Quelle vor, auch wenn dafür eine Burg mit Senfsamen gefüllt oder ein uralter Fels abgetragen werden muss.

Während Du Deine Reisetasche an Deiner Seite trägst: warum schreibst Du nicht einen Brief nach Hause?“

Dogen Zenji, aus dem Eihei Koroku



Auch in diesem Jahr
Werde ich wieder
Kastanien
von Hand aufklauben
eine Frucht
drei Teile
Das Firmament
scheint heller
Wenn ich jeden Stern
einzeln betrachte.



Gassho, Juen

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Das Fließen dieses Augenblicks im Wind

Wenn hochgehalten, ist es das Wesentliche.
Wenn losgelassen, wird es vom Wind übertragen.
Wenn weder hochgehalten noch losgelassen, werden die zahllosen Dinge durchdrungen.

Der Strom im Tal mit seinem fließenden Wasser bei Tag und bei Nacht
wäscht Sonne wie Mond.
Der Berg mit seinen Wolken im Süden und seinem Regen im Norden wird grün und rot gefärbt.
Joshus Zypresse konnte nie ein Objekt sein.
...
Die drei Zeiten scheinen sich weder nach vorne noch nach hinten zu bewegen.
Die großen tausend Welten scheinen im leeren Himmel zu schweben.
Jeder Augenblick ist weder ich noch Du.
Übung-Erwachen kommt von Westen und von Osten.

Dogen Zenji, aus dem Eihei Koroku


Der Gründer unserer Schule war vieles: Mönch, Zenmeister, Gründer von Klöstern, Kalligraf, Schriftsteller, Philosoph, Pilger, um nur einige zu nennen.

In allem war er: Dichter. Ein Poet, der über eine auch 772 Jahre später beeindruckende Imagination verfügte. So formell er manchmal auch schrieb, so hart, bisweilen ein wenig stur er mit Zeitgenossen umging, die in seinen Augen die Tradition nicht so achteten, wie er sie verstand, so frei und ungezwungen verknüpfte er Tempi und Bilder.

Dogen ließ pausenlos neue Wortschöpfungen entstehen. Manche von ihnen können auf historische Grundlagen zurückgeführt werden, Dogen war äußerst belesen. Das ist eine Art, ihn zu studieren.

Eine andere Art besteht darin, seine Bilder auf uns wirken zu lassen und sie mit unserer eigener Meditationserfahrung zu verbinden. Denn das sind sie auch: der Versuch, das was uns im Zazen begegnet, sichtbar zu machen. Diesem Ausdruck zu verleihen, eine eigene Form zu geben.

Gassho, Juen

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