July 2025

Klang und Form

Meister Unmon fragt: „Warum legst Du beim Klang der Glocke Deine Robe an?“
(aus dem Mumonkan)

Im Zen haben wir viele Formen. Es gibt Empfehlungen für die Art, wie wir das Zendo betreten, wie wir uns darin bewegen, wie wir unseren Sitzplatz begrüßen. Dies setzt sich fort bei der Rezitation, beim Verbeugen, beim Kinhin und beim Oryoki.

Unsere Körperhaltung im Zazen folgt ebenso einer über viele Jahrhunderte tradierten Form – wie wir unsere Hand halten, wie wir atmen und: was wir mit unseren Gedanken tun. Es scheint, als ob unsere Praxis aus nichts als Anweisungen bestehen würde! Für Neulinge kann das irritierend sein, auch für etwas Fortgeschrittene bedeuten unsere Formen ein andauerndes Übungsfeld.
Warum das Ganze?

Die Zen-Formen haben ein Ziel: uns zu unterstützen. Auch wenn es manchmal nicht danach aussehen mag: sie sind einzig und allein dafür da, uns bei unserer edlen Aufgabe zu helfen.

Als Menschen des 21. Jahrhunderts fragen wir, je nach Prägung, entweder sofort oder etwas später: warum? Warum soll ich mich so bewegen und nicht anders?

Die Zen-Formen haben einen Sinn. Alle.
Dieser sollte bei Bedarf erklärt werden. Er hat meistens etwas mit einem vereinfachten Umgang miteinander zu tun oder auch damit, dass es bei einer einmal festgelegten Form leichter fällt, die Überlegungen darüber ziehen zu lassen. Mit anderen Worten: die Formen helfen uns bei der Auflockerung unseres unterscheidenden Denkens.

Alle Zen-Formen haben eine Einbindung unseres Körpers als Voraussetzung, denn unsere Praxis beginnt mit unserem Körper.

Wenn auch die Formen unser diskursives Denken etwas verlangsamen können, so bringen sie gleichzeitig ein „Denken“ hervor, das einen integralen Bestandteil unserer Übung darstellt: Gewahrsein.

Ich stelle fest, etwas „falsch“ gemacht zu haben. Vielleicht habe ich mich in der Zeile vertan bei der Rezitation oder einen Gong vergessen als Doan.
Daran merke ich, dass ich gerade nicht ganz präsent gewesen bin.

Ferner gibt mir dies die Gelegenheit dazu, mit meinem „Fehler“ zu üben. Wie gehe ich damit um, dass alle gehört haben: „ich war gerade nicht hier?“
Wie fühlt sich das in meinem Körper an, welche Gedanken habe ich dazu?

Die Zen-Formen zeigen uns ferner auf eine sehr eindrückliche Art die Auswirkungen unseres Handelns. Ich läute die Rezitation zu schnell ein, der Doshi muss sich sputen, die Harmonie der Rezitation gerät ins Wanken.
Nichts passiert und doch sind die Ringe meines Handelns spürbar, hörbar, fühlbar. Alles in einem vertanen Gong im Mikrokosmos der abendlichen Sangha. Keiner sagt etwas, jede und jeder kennt dies von sich selbst und schickt leise mitfühlende Worte.

Exakt das Gleiche, wenngleich bedauerlicherweise meistens unbemerkt und mit deutliche mehr Auswirkungen, geschieht jenseits des Tores, außerhalb des Zendos.
Es ist die gleiche Praxis, nur in einem viel komplexeren Umfeld.

Daher kann ich am Klang des Glockengebers hören, wie seine oder ihre Stimmung ist. Daher hat der Klang der Glocke Auswirkungen, die über den jeweiligen Augenblick hinausreichen.

Es ist eben nicht egal, wie ich den Ton angebe. Denn nur auf ihn kommt es an.
Und nun, sag es mir: warum legst Du beim Klang der Glocke Deine Robe an?

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Winterthur 2025

Bereits zum dritten Jahr in Folge durften wir Ende Juni zu Gast sein im Zendo Inneres Lind, das seit vielen Jahren von der Zenlehrerin Kathrin Stotz geleitet wird.
Es entstand erneut ein angeregter Austausch in einem immer wieder schönen Zendo über den Dächern von Winterthur, bei sommerlichem Abendhimmel und einer regen Diskussion über die Quellen unserer Spiritualität.
Danke für all die guten Fragen!



Sommerabend

Mauersegler schwärmen
an Wipfeln und Zinnen
in der Ferne
Wolkenberge
Lindenduft
Nachbars lesen

der alte Nussbaum
grün versunken
glyzinienumrankt
die alte Heimat

unsichtbar
der Rückflug
passgenau

das Echo
unhörbar
wie
unsere Runde

Freunde
Brot und Wein
Heimat
ohne Namen
Land
oder Horizont
einmal jährlich:
Friedensstrasse!


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