Gate, gate

Das Herzsutra, jener altehrwürdige Text, kann vieles: eine Anregung bieten zur Kalligrafie, zur gemeinsamen Rezitation, zum Erfahren von Gemeinschaft auch jenseits der eigenen Sangha, zum individuellen Mantrastudium, zum philosophischen Diskurs und natürlich und vor allem zur Meditation.

Als eines der bekanntesten Mahayana-Sutras beinhaltet es hat es die Essenz der Zen-Lehre: „Shunyata“ – oft im Deutschen als Leere bezeichnet.
Hiermit ist kein trostloses „nichts“ gemeint, sondern dass unabänderliche Tatsachen, abgesehen von den Gesetzen der Physik, die Ausnahme in unserem Leben darstellen. „Shunyata“ bedeutet: „leer von“ festen Vorstellungen, Annahmen, starken Meinungen.

Es bedeutet, flexibel reagieren zu können auf die jeweiligen Bedürfnisse der Situation, unter Einbeziehung von möglichst vielen Aspekten und der Tatsache, dass es keine Entscheidung gibt, die nicht von anderen, belebt und unbelebt, beeinflusst wird bzw. wiederum Einfluss nimmt auf uns und andere. Somit ist diese „Leere“ ein vibrierendes, ständig changierendes Feld der Begegnungen in die 10.000 Richtungen. Es ist radikal: weder Form, noch Empfindung, noch Alter, noch Tod, weder Fühlen noch Denken, weder Weg noch Erreichen.

Ja, was denn dann?
Form, Empfindung, Alter, Tod, Fühlen, Denken, Weg, Erreichen.

Und wo ist der Unterschied: im genauen Hinsehen, Hören, Schmecken. Jedes Mal. Wie nie gehört.
Die frischen Birkenblätter am abendlichen Teich. Berückend hellgrün. Jedes Jahr wieder bewundernswert und irgendwie immer eine Überraschung, ihr Rauschen, ihr Wippen im Wind, ihre sich täglich verwandelnde Farbe und Form.

Grund, staunend innezuhalten, um zu sehen, zu schmecken, zu hören und zu riechen. Bekannt, erinnert und doch und doch. Hingerissen von nur diesem. Bis zum nächsten Lüftchen.

Im April haben wir in unserer Sangha das Herzsutra zum Thema gehabt.

Gassho,
Juen


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