In memoriam

Vor ein paar Wochen ist Thich Nath Hanh gestorben. Es ist nicht leicht, jemanden von derartiger Strahlkraft zu würdigen. Ich möchte dies gar nicht erst versuchen, doch schildern, inwiefern TNH mein Leben beeinflusst hat: persönliche Gedanken, die an dieser Stelle eher selten sind.
 
Für mich war er vor allem ein Brückenbauer. Jemand, der nicht nur seine eigene Tradition mit unserer westlichen Lebensweise zu verknüpfen versuchte, sondern der auch unermüdlich darum warb, in den kleinsten Lebenseinheiten wie Familie/Beziehungen, stetig Friedens – und Freiheitsarbeit zu leisten.
Nicht selbstverständlich für einen Mönch und jemanden, der erst in der Mitte seines Lebens als spiritueller Lehrer hervortrat und der gleichzeitig nicht müde wurde, die Vorteile des Lebens in einer klösterlichen Gemeinschaft stets hervorzuheben. In meiner Wahrnehmung war diese für ihn der eigentliche Weg zu Zufriedenheit und Glück.
Dennoch gibt es zahllose Bücher, in denen er sich sehr liebevoll um die kleinen Belange unseres westlichen Alltags kümmerte. Eines der Resultate daraus war „mindfulness“ – hieraus ist eine ganze Bewegung entstanden, „MBSR“ und ähnliches hätte weitaus weniger Wirkung gehabt ohne diesen kleinen, leisen Mönch.
 
Eine weitere Brücke bestand für mich in seiner Lehre der Gehmeditation. Erst durch seine Anleitungen wurde mir klar, was das eigentlich ist: keine Pause zwischen den Zazen-Einheiten. Sondern eine Praxis an sich, überall verfügbar, einfach anzuwenden und doch (für mich) schwerer umzusetzen als die Meditation auf dem Kissen. Aus meinem heutigen Alltag ist das Kinhin nicht mehr wegzudenken, es bildet oft die Verbindung zwischen zwei Begegnungen, gleicht sie aus, bereitet mich vor, erdet mich. Gerade im Arbeitsalltag von unglaublichem Wert.

TNH hat nicht nur dies bewirkt, sondern durch seine Gehmeditation im Freien eine weitere Verbindung geschaffen, die das Zazen auf dem Kissen keineswegs mindert, sondern erweitert auf fast alle meine Lebensbereiche. Hatte ich vorher (schaudernd) gehört, dass „alles“ Meditation ist, gab er einen konkreten Hinweis darauf, wie das umzusetzen ist und noch dazu, ohne ständig von meinen Gedanken so gequält zu werden wie in meinen ersten Jahren auf dem Kissen.
Unvergessen die Rede, in der er seine Meditation in einem FastFood Restaurant schildert, auf dem Flughafen, inmitten einer großen, lauten Menschenansammlung vor einem Konzert.
 
Sein Umgang mit Gefühlen, insbesondere starken Emotionen. Wann immer ich wütend werde und diese Anflutung spüre, denke ich an seine Stimme und sein: „hello my litte anger...“ und oft, wenngleich nicht immer, muss ich dann erst einmal schmunzeln. Das reicht schon, um den vorgegebenen Weg aus körperlichen und geistigen Reflexen etwas zu unterbrechen und das allein ist oft bereits genug, um wieder abzukühlen.
 
Beruflich telefoniere ich viel, sehr viel. Das Fon ist mein Begleiter und es schellt zu jeder passenden und weniger passenden Gelegenheit. Ob ich gerade in ein Brot beiße, mir die Nase putze oder mich in einem schwierigen Gespräch befinde: es läutet unerbittlich. Gerade ein der zweiten Tageshälfe oder wenn ich müde den Tag beginne, kann es vorkommen, dass ich diesen kleinen Tyrannen verfluche. Nie lässt er ab, ständig will er gefüttert werden. Dann schimpfe ich mit ihm und wir beide hadern. Ich versuche dann, ihn zu ignorieren, ein Läuten, vier Läuten... (hört es vielleicht auf?), aber meistens verliere ich die Geduld und hebe ab.
Ich hebe zu 99% ab. Das ist mein Gelübde als Bodhisattva und davon weiche ich inzwischen auch nicht mehr ab. Aber: wie tue ich das?
Grummele ich meinen Namen? Sage ich nur kurz „ja!“ oder bemühe ich mich um eine freundliche Stimme, die demjenigen gerecht wird, der oder die sich, meist hilfesuchend, an mich wendet?

Dann denke ich an seine Telefonmeditation. Und muss wieder lächeln. Und wir beide sind wieder Freunde, das Fon, der Anrufende und ich. Insbesondere das Fon, denn es begleitet mich seit mehr als einem Jahrzehnt, es hat schon ein paar Kratzer wie auch ich, es ist mein Stethoskop zu jenen, die ich gerade nicht sehe, denen ich aber dennoch zur Verfügung stehen möchte. Und das ist ein Teil meines Berufes. Kein Grund zur Verärgerung. Oder?
 
Als letztes möchte ich erwähnen, dass wir zu Anfang der 90er Jahre TNH einmal in München im Rahmen einer Veranstaltung gesehen haben. Es war das einzige Mal. Wir waren zeitig dort und saßen relativ weit vorne. Während der Einleitungen fiel unser Blick auf den Seiteneingang. Er kam inmitten einer kleinen Gruppe von Mönchen an. Ich wusste nicht viel über ihn. Das meiste davon hatte ich nicht verstanden. Ich war neugierig, aber auch skeptisch. Und verblüfft: noch heute erinnere ich seinen Gesichtsausdruck am Eingang. Damals hat er mich beeindruckt aus unerklärlichem Grund, heute „weiß“ ich: er meditierte.
Später dann kam er auf die Bühne. Ich habe vergessen, worüber er sprach. Aber was ich auch nie vergessen werde, ist seine Verbeugung zu Beginn seines Vortrags: Thich Nath Hanh verschwand. Vollkommen. Wie der Reiher auf Dogens Schneefeld. Er tauchte wieder auf und: er meditierte weiter. Seinen gesamten Vortrag lang.

Mit all seiner Trauer über sein Exil, den Verletzungen, die ihm und den seinen zugefügt wurden, dem Leid der vielen Menschen in dem Vortragssaal, für die Ryokans Ärmel nicht reichen. In diesem kleinen, unscheinbaren und zarten Mann vibrierte zudem eine stählerne Entschlossenheit, fast Unbeugsamkeit. Das setzte seine Freundlichkeit in eine ganz andere Dimension.

Jetzt hier. Meinen Beitrag leisten. Zur Veränderung. Ein bisschen, Jeden Tag. Trotz allem. Mit allem.
Im Januar ist Thich Nath Hanh, dieser große Lehrer, in seinem Heimatkloster in Vietnam gestorben. Wir verneigen uns vor einem großen Menschen.
 
 Gassho, Juen


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