In die Helle des Tages tretend

Im Hekiganroku, Fall Nr. 41 fragt Joshu, wie man nach dem großen Tod weiterleben soll. Tosu, ebenfalls ein Zen-Lehrer und um einige Jahrzehnte jünger als der bereits hochbetagte Joshu, gibt hierauf zur Antwort: „Ich erlaube nicht, bei Nacht zu reisen. In die Helle des Tages muss man ankommen“.

Als „großer Tod“, als „restloses Sterben“ wurde damals ein Verschwinden unseres Ichs, unserer Identität im Rahmen der Meditationserfahrung bezeichnet. Wir treten zur Seite, hinaus aus unserem unterscheidenden, urteilenden Denken und machen Platz für alles andere: die gesamte phänomenale Welt. Wir sind. Mit allen. Egalitär wie radikal. Abwesend einerseits und vollkommen präsent andererseits. Ohne Form und doch in allen Formen. Vollkommen tot, total lebendig.

Doch hiermit nicht genug: als Zen-Übende stellt das nächtliche Reisen nur einen Teil unserer Lebensaufgabe dar. Der andere Teil, nicht minder herausfordernd, besteht im „Aufstehen und Tanzen“ (Juwelenspiegel-Samadhi), im sich zeigen und bezeugen, wozu unsere gesamte Gegenwart in gleißendem Tageslicht gefragt ist.

Und sie besteht letztendlich darin, dem immerwährenden Wechselspiel zwischen Form und Leere, Endlichem und Unendlichem, Unterscheidung und Verbindung so geräuschlos wie möglich zu folgen. Das ist Leben, das ist lebendig und hierzu ist es zunächst nebensächlich, in welcher Lebensphase wir selbst uns gerade befinden. Tod oder lebendig?

Gassho, Juen


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