Im Zen gibt es doch keine Gefühle - oder?

Frage: wir alle kennen Dogens „Denke das nicht denken“ aus dem Fukanzazengi.
Gilt das auch für Gefühle? Besteht ein Ziel unserer Praxis auch im „Fühle das Nicht-Fühlen?“

Gefühle in unserer Praxis beschreiben sowohl Emotionen als auch Empfindungen im engeren Sinne (vedana, skt.). Sie bilden eine Art Färbung des jeweiligen Moments, das im Englischen so treffend mit „feeling tone“ umschrieben wird.

Diese entstehen, wenn unsere Sinne mit der Außenwelt Kontakt haben: das Auge sieht Farben und Formen, wir hören, riechen, schmecken, tasten. Etwas schwieriger ist es beim (buddhistisch gesprochen) 6. Sinn – unserem Bewusstsein, unserem Denken. Wir denken und fühlen. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Und da wir fast immer mit unseren Körpersinnen aktiv sind und die meiste Zeit des Tages auch denken, fühlen wir nonstop.

Beeindruckend zusammengefasst, auch unter psychologischen Gesichtspunkten, ist dies in der jahrhundertealten Einteilung in die fünf Skandhas, die fünf Daseinsgruppen. Diese unterteilt Form (in erster Linie unseren Körper und Sinnesorgane), Gefühle, Wahrnehmungen, Willensregungen und unser (unterscheidendes) Bewusstsein.

Unser Denken und Handeln sind untrennbar mit Gefühlen, deren Spektrum von Emotionen wie Trauer, Wut, Einsamkeit bis hin zur Wahrnehmung eines neutralen Seinszustandes reicht, verbunden. Im Zazen haben wir die Gelegenheit, mit diesem, im Vergleich zu unserer Gedankenwelt, nicht weniger komplexem Universum in Kontakt zu treten. In der Stille ist beides erfahrbar, wobei die Gefühlswelt nicht selten durch unser Denken behindert wird und oft wesentlich mehr Übung und Ausdauer benötigt, um wahrgenommen zu werden.

Dennoch werden wir nicht zufrieden werden und frei handeln können, wenn wir diese weiterhin „außen vor“ lassen. Das ist ohnehin unmöglich.

Unsere Gefühle sind zudem meistens weitaus weiser als unsere Gedanken. Sie können uns an der Hand nehmen, wenn wir es denn zulassen. Sie können uns ein verlässlicher Mentor sein, der uns behutsam einen Zugang zu den vergessenen und tief verborgenen Wiesen unserer Herzen weist. Sie bilden den eigentlichen Schlüssel für Dogens „Tor der Freude und Leichtigkeit“. Sie können sich berückend gut anfühlen und vernichtend schwer. Sie bleiben bei uns, solange wir hier sind. So oder so. Wir könnten sie daher auch gleich einladen, unser Freund und Gast zu sein auf unserer immer wieder spannenden Exkursion durch unsere Innenwelt und darüber hinaus.

Gassho, Juen und Nanzan


Noch hier - wie ein Tautropfen auf einem Grashalm
Am Wegesrand,
bin ich noch immer in dieser fließenden Welt.
Mond am Morgen.


Niemand zuhause
Herabgefallene Kiefernadeln
Verstreut vor der Tür.


Melone
Ich löffle und esse
Breche und esse
Und danach
behalte ich sie um meinen Mund.

Daigu Ryokan

(aus „Hoher Himmel Großer Wind“, edition steinrich, 2012)


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