December 2024

Nachruf

Liebe Sangha, die Zeitschrift Lion's Roar ist derzeit die größte buddhistische Zeitschrift im US-amerikanischen Raum. Sie wurde 1978 von Chögyam Trungpa Rinpoche gegründet und hieß bis 2015 "Shambhala Sun".

In der Januar-Ausgabe erscheint ein Nachruf auf Hozan Roshi (in englischer Sprache). Dieser wurde von Colleen Morton Busch verfasst, einer Zen-Schülerin, die auch das Buch über das Feuer in Tassajara geschrieben hat ("Fire Monks", erschienen 2019). Der Artikel bietet einen schönen Überblick über Hozans facettenreiches Dharma.
Gassho, Juen und Nanzan

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Hozan Alan Senauke Roshi 1947 - 2024

hozan portrait

Hozan war Abt des Berkeley Zen Centers und der Lehrer von Juen und Nanzan. Wir kannten uns seit den Zeiten unserer Ausbildung im "Great Vow Zen Monastery" in Oregon. Unsere Verbindung vertiefte sich anlässlich der "Dogen Conference", die 2010 in San Francisco stattfand und bei der Juen einen Vortrag hielt. Im folgenden Jahr war Hozan im Rahmen eines Kongresses seiner Heiligkeit des Dalai Lama in Hamburg und stattete uns einen Erstbesuch ab - um hier spontan eine Jukai-Zeremonie anzubieten und sich in vielen Gesprächen und Besuchen sehr interessiert an unserer Sangha und unseren Lebensgewohnheiten zu zeigen. Hozan kam in den Folgejahren regelmäßig. Er hielt die Augenöffnungszeremonie für unser jetziges Zendo und führte etliche Jukai-Zeremonien durch. Die Ordination von Juen und Nanzan fand in Musanji unter seiner Leitung statt.

Hozan hat uns beiden als Lehrer vor allem eines geschenkt: Vertrauen. Unter anderem in den Mut, unseren Wirkungskreis außerhalb des Zendos zu weiten und etwaige Hindernisse zunächst einmal als zu erforschende Herausforderung zu betrachten. Als wir uns nach der Gründung des Hospizvereins mit der Gründung eines stationären Hospizes beschäftigten, obschon wir mit dem Verein und in unseren beruflichen Hauptämtern bereits gut zu tun hatten, hörte er sich unsere Idee geduldig an und sagte dann, mit diesem ernst-neugierigem Lächeln: "If you think so…". Er hat danach unsere weiteren sozialen Aktivitäten interessiert begleitet.

Darin besaß er Erfahrung, denn abgesehen von seiner Liebe zur Musik, die ihn als professionellen Musiker nie verließ, war Hozan in vielen Welten unterwegs: er war über viele Jahre Geschäftsführer des "Buddhist Peace Fellowship", einer Organisation, die sich um sozial engagierten Buddhismus bemüht. Ferner hat er zehn Jahre lang das "Chaplaincy Program" im "Upaya Zen Center" mitgeprägt, das transkonfessionelle Seelsorgende ausbildet. Zeitlebens lagen ihm Indien und Burma am Herzen; er gründete eine Organisation, die sich unter anderem um die Schulbildung sozial benachteiligter Gruppen, wie zum Beispiel der Dalits oder der Rohingya bemühte.

All dies wäre nicht entstanden, wenn uns nicht Kaz Tanahashi in das Berkeley Zen Center und das San Francisco Zen Center eingeführt hätte. So steht jetzt in unserem Garten eine Weide, die Kaz gepflanzt hat, eine Kiefer, die Blanche Hartman gewidmet ist, ein Fels, den Sojun mochte und davor ein Raum, an dessen Potential Hozan immer geglaubt hat.

Hozan starb vor wenigen Tagen nach langer Krankheit. Wir können nur versuchen, seine Melodie fortan noch etwas weiterzutragen: für das Dharma. Um der Freiheit willen. Für die Liebe. Um aller Wesen Glück und Zufriedenheit. Gassho, Juen und Nanzan

hozan guitar


Der Kreis ist rund

Während sich ein erschöpftes Jahr zum Ausklang neigt, sind die kommenden beiden Wochen in privater Hinsicht häufig geprägt von Familienzusammenkünften und gemeinsamen Erinnerungen.

Diese Stunden können wunderschön sein, sie können aber auch anstrengend oder bisweilen etwas fordernd sein. Da es insgesamt ein schwieriges Jahr war und die Unruhe und Verunsicherungen anhalten, haben wir uns in der Sangha über die tibetische Praxis des Tonglen ausgetauscht. Dabei hat uns vor allem die Praxis des Tonglen beschäftigt, welche die Lehrerin Pema Chödrön einmal mit "instant tonglen" bezeichnet hat.

Uns begegnet Unheilsames, Negatives: anstatt der habituellen Antwort des Zurückweichens integrieren wir diese unerwarteten Felsen in unseren Pfad der Befreiung. Das Ungewollte wird willentlich in die Übung integriert. Wir atmen das Unangenehme ein, wir atmen es wieder aus. Bereits in der Körperlichkeit des Ausatmens findet eine Verwandlung statt: wir geben ab, wir lassen ein bisschen los. Wir mögen Teil einer Situation sein, die uns nicht gefällt, wir sehen vielleicht etwas, das uns bedrückt, wir nehmen die eigene Enge wahr.

Das sind Gelegenheiten zu üben, es sind Möglichkeiten, in Verbindung zu treten, und sei es ein zum x-ten Mal registriertes Knäuel am Boden, über das wir uns jetzt nicht noch einmal aufregen, sondern dass wir jetzt einfach entsorgen: einatmen ausatmen, der Nächste, bitte. Die Praxis des Tonglen ermöglicht es uns, unser Leben ein wenig distanzierter zu betrachten und das Unangenehme, das nicht-Gewollte zunächst weder reflexartig zurückzuweisen, noch zu verbrämen, zu verleugnen oder zumindest spontan zu verurteilen. Es bedeutet, bevor dies natürlich auch geschieht, die ganze Chose erst einmal an- und auszuatmen.

Dieses Atmen kann die blauen Berge in Schwingung versetzen. Es kann Raum für Möglichkeiten entstehen lassen und Landschaften eröffnen, die uns bislang verborgen blieben. Diese Bewegung hin zu uns ist Prajna. Diese Schwingung durch uns hindurch ist Shunyata. In dem Moment, in dem Prajna und Shunyata einander zulächeln, entsteht eine Verbindung, die uns jede Furcht vergessen lassen wird.

Gassho, Juen


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Flieg!

Auf den ersten Blick mag die strikte Übung des Zen mit seiner überlieferten präzisen Formgebung und seiner Ästhetik der Reduktion wenig mit Kreativität, Imagination und Phantasie zu tun haben.

Jede spirituelle Praxis, die ehrlich genug ist, sich als Teil einer Religion zu begreifen, kann engherzig werden in ihrem Streben, die Gesellschaft zu fördern und das Individuum zu motivieren.
In jeder dieser Gemeinschaften blüht auch immer die glühende Kohle von Wildem, Mystischem, Kreativem.

Imagination erweitert unsere Herzen und unseren Kopf. Neuerungen, moralische Visionen, Hilfsbereitschaft, Liebe, Idealismus, Vertrauen – alles Vorgänge, bei denen unsere Vorstellungskraft über das offensichtlich Wahrgenommene hinausgeht.

In unserer Zen-Praxis sind wir selbst aufgerufen, unser Leiden zu erfassen, es stetig zu ergründen, es zu verwandeln. Keine omnipotente Übereinheit hilft uns dabei.

Wir leiden auch, weil uns die Imagination fehlt, die Dinge so zu betrachten und zu erfahren, wie sie wirklich sind.
Im Mahayana erhalten wir das Angebot, unsere Imagination zu neuen Höhen aufzuschwingen: wir wenden den Blick von uns ab und öffnen ihn für andere, für alles andere. Buddha als kosmisches Prinzip: das Mit-Sein mit allem wird zentral.

Die Welt steht niemals still. Sie ist nie fixiert.
Ein Bodhisattva verschwendet zunehmend weniger Energie darauf, ständig zu erdenken, wie die Welt in seinen oder ihren Augen auszusehen hat.

Unsere Imagination ist dabei wie eine Sommerbrise, die lockert, was starr und kalt erscheint. Sie stellt die Fähigkeit der Erfahrung von zunehmendem Vertrauen dar. Von grenzenlosem Vertrauen in die Möglichkeiten, in das Potential des jeweiligen Augenblicks.

Wir üben Zazen. Wir üben auch: die natürliche Fülle des Seins zu schätzen, seine inhärente Großzügigkeit von Zeit und Raum. Das Leben an sich gibt immer. Es ist niemals geizig oder kleinkariert, niemals dogmatisch oder berechnend.

Wir müssen unser Leben nicht ständig erschaffen und regulieren. Wir können es lassen, uns lassen.

Warum sind wir nicht so großzügig wie ein Baum?
Warum können wir nicht an jedem und allem Interesse zeigen?
Warum kümmern wir uns nicht einfach, wenn es die Situation gebietet?
Warum verbreiten wir nicht unser bestes Mitgefühl, warum üben wir es nicht wie unser Zazen, wie unseren Atem?
Wir unterliegen zu oft der Fehlwahrnehmung, "für uns" zu üben. Dabei ist das ein Irrtum.

Unser Mit-Sein stellt nicht nur unsere größte Imaginationsleistung dar, es ist gleichermaßen die Quelle für anhaltende Freude und Zufriedenheit.

Mitgefühl schafft Vertrauen. Vertrauen schafft den Eindruck, auf mich kommt es an.

Denn dass wir einander haben, immer noch und gerade auch in der Neige zu diesem schwierigen Jahr, ist ein großes Geschenk. Es ist vorübergehend. Einzigartig.

Allein die Vorstellung, jetzt zueinander fliegen zu können! Und es dann auch tatsächlich zu tun.

Gassho,
Juen

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